Tanzdrama, Klaus Kieser - 01/02/2001
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Ein Gespräch mit Christian Ziegler
Von Klaus Kieser

Seit er an William Forsythes CD-ROM Improvisation Technologies mitgewirkt hat, ist Christian Ziegler ein gefragter Medienkünstler. Seit 1993 arbeitet er am dortigen Zentrum für Kunst und Medientechnologie, an dem interaktive Projekte mit Künstlern wie Bill Seaman entstanden. Zu seinen eigenen Werken gehört scanned (in Zusammenarbeit mit der Tänzerin Monica Gomis), das im September 2000 in München herausgekommen ist.KK: Wie kam es zu Ihrer Produktion scanned?

CZ: Ich ging von zwei Ansätzen aus: zunächst von einem inhaltlichen, der sich aus der Arbeit an der CD-ROM Improvisation Technologies entwickelt hat; speziell das Kapitel »Reorganizing Space & Time« hat mich am meisten über Performanceraum und -zeit nachdenken lassen. Tänzer haben eine hochentwickelte Körperintelligenz, durch die sie immer wissen, was sie wo auf der Bühne tanzten. Mit diesem "Repertoire" können sie mit sich selbst in einen Dialog treten, der beim Tanzen Raum und Zeit auf der Bühne dekonstruiert. Ich will diesen Prozess mit "scanned" als einen technischen Spiegel begleiten, der Tanz visuell zerlegt. Mein anderer Ansatz ist der Versuch, das Medium Video so einzusetzen, dass es Teil der Bühnengestaltung wird. Tanz und Video konkurrieren meist um die Aufmerksamkeit des Publikums. Also musste ich zuerst versuchen, eine Einheit herzustellen von Bühne, Aktion und den Medien. Das System sollte von der Aktion auf der Bühne gespeist werden. Video wird hier nicht dazu benutzt, etwas einfach abzufilmen. Das System verarbeitet, scannt eine Information auf der Bühne, projiziert sie wieder auf die Bühne; das Ganze funktioniert wie ein Kreislauf. Was abgebildet werden soll, ist der Tanz selbst; es ist eine Art Protokoll der choreografischen Passagen, und dieses Protokoll kann wieder als Quelle der Improvisation dienen, indem es wieder auf die Bühnen projiziert wird. Das ist die Idee eines medialen Reorganisationsprinzips.

KK: Wie gingen Sie technisch vor?

CZ: Wir haben am Vortag, zur Generalprobe, kurze einfache Bewegungssequenzen aufgenommen. Wichtig war mir, daß Bewegungen einerseits statisch, andererseits dynamisch abliefen. Denn das Videobild macht einen Unterschied zwischen statischen und bewegten Teilen. Das System stellt auch den Körper unterschiedlich dar, je nachdem, ob es sich um eine statische oder eine dynamische Sequenz handelt. In scanned wurde der stehende Körper Teil des Hintergrunds, tauchte quasi in den Performanceraum ein. Bewegung wird verstärkt. Diese mit Video aufgenommenen Sequenzen hatte ich auf der Festplatte gespeichert; meine Software hat die Videos wieder ablaufen lassen und zeilenweise die Bewegungen dargestellt, technisch heisst dieser Vorgang "rendern". Das System arbeitet eigentlich wie ein normaler Scanner, und der hat eine bestimmte Betriebsgeschwindigkeit, wobei das Objekt gewöhlich statisch ist. In diesem Fall, wenn man Bewegungssequenzen digitalisiert und einen Videoscan abtasten läßt, von links nach rechts beispielsweise, wird durch die Zeit, die der Scanner braucht, die Bewegung relativ zur Bewegung des Scanners verzerrt. Das heißt, wenn sich ein Körper gegen die Scanrichtung von rechts nach links bewegt, wird er zu einer schmalen Figur, bewegt er sich mit der Scanrichtung, wird die Figur breiter, sieht wie ein Pfannkuchen aus. Mit dieser technischen Information kann man Bewegung neu sehen und abbilden. Während ein Mensch ein Ereignis in seiner Ganzheit sieht, erfaßt das System die Dinge sukzessive, pixelweise. Es sammelt Bewegung sozusagen auf. Somit stelle ich ein technisches System einerseits in den Dienst der Bewegungserinnerung, andererseits erfaßt man dadurch die Dinge anders.

KK: Inwieweit hat diese Anordnung den Tanz beeinflußt?

CZ: Wir haben im ersten Schritt einem Ereignis ein anderes entgegengesetzt. Die Tänzerin hat ihr eigenes Bewegungsmaterial vom Vortag zitiert, hat im Projektionsstrahl ihre Silhouette dem gezeigten Bild entgegengesetzt. Gleichzeitig gab es auch einen Echtzeit-Event, indem die Tänzerin mit dem Phänomen Projektion gearbeitet hat. Als dritte Ebene kommt das »video sampling« hinzu. Denn ich habe eine halbautomatische Steuerungsmöglichkeit, das Videomaterial zu samplen, in der Art und Weise, wie ein DJ oder eher ein VJ arbeitet. Ich nehme Videosamples aus diesem Scanvorgang und kann diese in Echtzeit verarbeiten. Ich kann die Scangeschwindigkeit bestimmen, die Abspielgeschwindigkeit der Videos, die Scanrichtung. Das erzeugt für jede Vorstellung ein neues Bildergebnis.
KK: Gab es Vorbehalte der Tänzerin, sich auf dieses Experiment einzulassen?
CZ: Ja. Es gab Unsicherheiten in bezug auf die Bewegungsqualität und das technische System. Sie mußte unter Bedingungen vor Publikum tanzen, die neu waren; sie mußte für ein technisches System tanzen, das die Bewegung anders verarbeitet als ein Zuschauer. Unsicherheiten gab es auf beiden Seiten.

KK: Wie reagierte das Publikum?

CZ: Es war so, daß der Live-Event fast weniger wichtig war als das Sampeln der Videos. Die Zuschauer hatten die Möglichkeit, nur die Projektion anzuschauen und den Tanz zu ignorieren. Das Ergebnis war ein so ästhetisches, daß ich mir vorstellen kann, das Ganze auch ohne Live-Tanz aufzuführen. Eine Installationsversion von "scanned" habe ich dann auch im Herbst letzten Jahres für eine Ausstellung in Kiew produziert.

KK: Braucht man dann noch den Tänzer?

CZ: Vielleicht braucht man ihn nicht, wenn man, so wie wir im ersten Experiment, schon etwas vorproduziert hat. Was ich im zweiten Schritt erreichen will, ist, das Ergebnis vor den Augen der Zuschauer ins System zu speisen und gleichzeitig zu verarbeiten. Als zweiten Schritt wollen wir mit scanned traced compressed“ a picture ein wirkliches Live-System erreichen. scanned kann man als Installation, besser aber als Live-Medienperformance, bezeichnen, und nun möchte ich den Schwerpunkt in Richtung Tanz verschieben. Wir wollen die Produktion der Samples live vorführen, wie im Studio. Das Ganze wird länger dauern, wir brauchen Pausen, wir müssen versuchen, mit dem künstlichen Rhythmus der Maschine umzugehen.

KK: Was bedeutet das?

CZ: Tänzer und Zuschauer müssen auf die Bedingungen der Technologie eingehen.

KK: Welche konkreten Bedingungen stellt das System?

CZ: Praktisch heißt das, daß es kein Echtzeitsystem ist, sondern ein sukzessives Verarbeitungssystem. Die Videos müssen digitalisiert sein, bevor die Maschine loslegen kann. Es gibt Live-Video-Verarbeitungssysteme wie Imagine, das von Tom Demeyer vom STEIM-Institut in Amsterdam programmiert wurde, mit dem Reyna Perdomo, die Tänzerin, mit der ich zur Zeit zusammenarbeite, schon Erfahrungen gesammelt hat. Mein System arbeitet sukzessive, und darauf lege ich großen Wert. Mit dieser Nachbearbeitung kann ich gestalterisch arbeiten, ich kann ein gezieltes ästhetisches Ergebnis kreieren – das ist mir ganz wichtig.

KK: Welche Rolle spielen die Tänzer in diesem Schaffenprozeß?

CZ: Tänzer müssen sich schon mal darauf einlassen, was die technischen Systeme bieten. Meine Erahrung ist die, dass nur wenige sich mit den Möglichkeiten der Medien auf der Bühne wirklich beschäftigen. Wenn, dann werden meist Medien eher zitierend eingesetzt wie z.B. Fernsehen oder Kino auf der Tanzbühne. Entscheidend ist aber eine Auseinandersetzung. Spätestens seit Laban kann man Tanz auch mit technischen Mitteln inhaltlich beschreiben und erweitern. Was ich mache, ist natürlich keine Notation, eher eine Art Beschreibung von Bewegug mit Mitteln der Videoverarbeitung. Was ich nicht mache, ist ein Video-Hintergrund. Da gibt es keinen Dialog mit den Tänzern; es ist lediglich ein erweiterter Bühnenprospekt mit bewegten Bildern, der dem Tanz die erforderliche Aufmerksamkeit entzieht und kontraproduktiv wirkt. Ich habe auch selten "video backdrops" gesehen, die den Tanz wirklich unterstützt hätten. Das sind für mich in der Regel Verlegenheitslösungen. Ein Gegenbeispiel lieferte vielleicht Pina Bausch in einem Solo: Sie hat eine extrem vergrößerte Projektion von Fischen im Aquarium benutzt und davor getanzt. Vor diesen riesigen Fischen wirkte sie extrem klein. Die Einheit von Größenverhältnissen war somit komplett aufgehoben. Paradoxerweise vermied sie gerade dadurch, vom Bild vereinnahmt zu werden. Medien auf der Bühne sind eben nie nur einfacher Hintergrund. Nur durch den bewußten Einsatz von Medien auf der Bühne kann ein künstlerisch interessantes Ergebnis zustande kommen.

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